Berlusconis Flucht nach vorn
Zum Auftakt des G8-Gipfels, der heute in L’Aquila beginnt, hat mich das Neue Deutschland interviewt. Hier sind die Fragen und meine Antworten:
Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat zum G8-Gipfel nach L'Aquila in eine Gegend geladen, die kürzlich vom Erdbeben heimgesucht wurde. Ist das eine gelungene Anspielung darauf, dass die G8 in Trümmern liegen?
Das dürfte eher nicht Berlusconis Intention gewesen sein. Es ist reichlich makaber, einen Gipfel in einem solchen Gebiet stattfinden zu lassen, einen Gipfel, der in seiner Geschichte nicht gerade geglänzt hat bei der Verhinderung politischer und wirtschaftlicher Katastrophen.
Berlusconi hat insgesamt 39 Staats- und Regierungschefs eingeladen, das ist neuer Rekord. Ist das ein offizielles Anerkenntnis der G8, dass ihre Zeit als exklusiver Klub endgültig abgelaufen ist?
Das ist eine Flucht nach vorne. Die G8 haben seit Jahren ein Legitimationsproblem. Im Moment kämpfen sie um ihr Überleben. In Bezug auf den großen Teilnehmerkreis lohnt ein genaues Hinsehen auf die Gipfelabfolge: Erst tagen die G8 und dann wird der Kreis nach und nach erweitert. Das Ganze ist mehr eine Projektionsfläche für das, was sich die G8 vielleicht denken, was gemacht werden sollte, aber womit sie sich immer weniger durchsetzen können.
Statt den G8 zeichnen sich mehr und mehr die G20 als das neue Steuerungsinstrument in Bezug auf globale Wirtschaftspolitik ab. Ist mit der Erweiterung eines exklusiven Klubs etwas gewonnen?
Es sind immerhin über 80% der globalen Wirtschaftsleistung, die durch die G20 vertreten werden. Und es ist auch, was den Anteil der Weltbevölkerung betrifft, ein wesentlich repräsentativerer Klub, wenngleich es noch ein Klub ist. Aber die G20 sind tatsächlich so etwas wie der neue Stern am Firmament der Global Governance-Architektur. Ungeachtet ihrer Legitimationsprobleme, die die G20 mit den G8 teilen, werden sie in Zukunft das Steuerungszentrum für Wirtschafts- und Finanzfragen globaler Natur sein.
Die erste Bewährungsprobe für die G20 war der Weltfinanzgipfel in London im April. Da gab es die Grundaussage, kein Markt, kein Produkt und auch kein Akteur wird künftig ohne Aufsicht sein. Was ist daraus geworden und inwiefern wird dieser Faden beim G8-Gipfel denn wieder aufgenommen?
Der Londoner Gipfel war ein Anstoß für die staatlichen Akteure, ihre Finanzmärkte zu regulieren. Das Problem ist, dass das unkoordiniert verläuft. Die USA unter Obama haben jetzt ihr eigenes Regulierungsprogramm aufgelegt, die EU hat einen Entwurf für eine neue Richtlinie, die die europäischen Finanzmärkte besser regulieren und beaufsichtigen soll. Zudem folgen diese Initiativen schon wieder in einem vorauseilenden Gehorsam dem, was die privaten Finanzmarktakteure wollen. Prominentes Beispiel dafür ist, dass die englische Regierung und die Londoner Finanzwelt Sturm gegen alles laufen, was die EU unternehmen will, um Hedgefonds und Private Equity Fonds und so genannte Alternative Investmentpapiere zu regulieren, die alle auf fremdkapitalfinanzierter Spekulation aufbauen. Ihr Argument: Damit würde das Kapital, das ja bekanntlich scheu wie ein Reh ist, aus Europa vertrieben. Es zeichnet sich ab, dass je länger der spektakuläre Ausbruch der Finanzkrise zurückliegt, desto weniger in den herrschenden Kreisen die Dringlichkeit zu spüren ist, Vorkehrungen dafür zu treffen, dass sich so etwas nicht wiederholen kann.
Ist vom G8-Gipfel ein Mehr an Koordination zu erwarten?
Dort wird zwar drüber geredet werden, aber das Thema wird keine allzu große Rolle spielen. Eigenständige Beschlüsse der G8 werden dazu nicht kommen. Es sei denn, man nimmt diesen Kodex für Moral und Anstand auf den Finanzmärkten, der bereits vorbereitet ist und auf dem Gipfel verabschiedet werden soll. Aber da fragt sich der Rest der Welt zu Recht, wieso sollen wir uns ausgerechnet von denen in Sachen Moral und Anstand belehren lassen, die uns die ganze Malaise eingebrockt haben.
In Sachen Entwicklungspolitik widmen sich die G8 dieses Jahr dem Thema Ernährungssicherheit, aufgeschreckt durch die große Nahrungsmittelkrise in der ersten Jahreshälfte 2008. Haben die G8 da die Zeichen der Zeit erkannt?
Einerseits, andererseits. Sie haben über ein Jahr gebraucht, um sich mal des Themas anzunehmen. Auf der anderen Seite zeichnet sich durchaus etwas wie eine Trendwende im Zeichen der neuen Entwicklungspolitik der Obama-Administration ab. Die USA-Regierung will in Zukunft wesentlich mehr Geld für Investitionen in die ländliche Entwicklung des Südens bereitstellen, statt einfach nur das Geld für Nothilfe zur Verfügung zu stellen und damit zu Gunsten der US-Nahrungsmittelindustrie Lebensmittel in die so genannte Dritte Welt zu liefern. Das ist vom Prinzip her ein richtiger Ansatz. Allerdings ist wieder einmal völlig unklar, ob es sich bei den geplanten Investitionen um frisches Geld handelt oder einfach alte Zusagen umgewidmet, aber in den Kommuniqués als neue Milliardenzusagen der Öffentlichkeit verkauft werden.
Trendwende in der ländlichen Entwicklung. Wie steht es um die Zusagen zur Erhöhung der Entwicklungshilfe?
Dort soll auch eine Trendwende beschlossen werden, aber das ist ein hehrer Beschluss. Schließlich lässt die Umsetzung der Gleneagles-Ziele von 2005 nach wie vor auf sich warten – zum Beispiel die Aufstockung der Hilfe für Afrika auf 50 Milliarden Dollar bis 2010. Gerade der italienische Gastgeber hat für das Jahr 2009 verheerende Finanzkürzungen im Bereich der Entwicklungspolitik angekündigt. Insofern ist es eine Illusion zu erwarten, dass sich die G8 unter der Führung Italiens zu neuen entwicklungspolitischen Höhenflügen aufschwingen würden. Da seh ich eher schwarz.
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