24. Oktober 2018

EU-Entwicklungshilfe: Auf dem Weg nach unten und zweckentfremdet

Zum ersten Mal seit 2012 gingen die Ausgaben der EU für Entwicklungshilfe 2017 zurück. Das bedeutet, dass die EU-Länder bei der gegenwärtigen Wachstumsrate der EZ weitere 40 Jahre brauchen würden, um das 0,7%-Ziel der Vereinten Nationen zu erreichen, enthüllt der diesjährige AidWatch-Report des NGO-Dachverbands CONCORD. Auch Deutschland hat im Jahr 2017 seine EZ-Leistungen reduziert. Während die EU nach wie vor der größte Geber der Welt ist, fiel ihre Entwicklungshilfe 2017 um 4%; immer noch 19% der gesamten Hilfebudgets der EU waren aufgebläht. Der Großteil des Rückgangs ist auf die abnehmende Inlandshilfe für Flüchtlinge und rückläufige Schuldenerlasse zurückzuführen, die als Entwicklungshilfe angerechnet werden. Nur noch viel EU-Mitgliedsstaaten, Dänemark, Luxemburg, Schweden und Großbritannien hielten das 0,7%-Ziel ein.

„Mehrere Jahre lang sind Migrationkontrolle, Verbriefungen und Privatsektorinvestitionen an die Stelle von Entwicklungszielen getreten und haben die offiziell berichteten Hilfezahlen inflationiert. Das bedeutet: Immer weniger Ressourcen aus der EU werden für Armutsbekämpfung und global nachhaltige Entwicklung ausgegeben“, beklagt Luca De Fraia von CONCORD und ActionAid Italien.

Immerhin ist die weltweite Hilfe an die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs) im letzten Jahr um 4% gestiegen und erreicht damit 0,11% des Bruttonationaleinkommens der EU. Allerdings ist die EU damit immer noch von einem Niveau von 0,15% für die LDCs entfernt, das bis 2020 erreicht werden soll.

In den gegenwärtigen Budget-Verhandlungen der EU, die wahrscheinlich die gesamte Landkarte der EU-Entwicklungsfinanzierung verändern werden, fordert CONCORD von den EU-Institutionen und –Mitgliedsstaaten sicherzustellen, dass die Rechte und Prioritäten der Menschen in Armut, die Qualität der EZ und die Prinzipien einer effektiven Entwicklungszusammenarbeit ins Zentrum gerückt werden.

16. Oktober 2018

Moratorium gegen Gene Drives in der Landwirtschaft gefordert

Am heutigen Welternährungstag fordern mehr als 200 führende Vertreterinnen und Vertreter von Organisationen der globalen Bewegung für Ernährungssouveränität und eine klimaschonende Landwirtschaft ein Moratorium für die Freisetzung von „Gene Drives“, darunter die amtierende UN-Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf Nahrung, Hilal Elver, sowie ihre Vorgänger Olivier de Schutter und Jean Ziegler. Gene Drives sind biotechnologische Anwendungen von bislang unbekannter Wirkungsmacht, die sich derzeit in der Entwicklung befinden. Die Technologie schaltet die natürlichen Regeln der Vererbung und Evolution aus, indem gentechnisch in das Erbgut von Organismen eingeführte Merkmale zu 100% an alle deren Nachkommen weitervererbt werden. So könnten ganze Arten dauerhaft verändert oder auch ausgelöscht werden.


Der Aufruf gegen die Freisetzung von Gene Drives wird zeitgleich mit einem Bericht der Heinrich-Böll-Stiftung und der kanadischen Nichtregierungsorganisation ETC Group veröffentlicht. Der Bericht "Forcing the Farm" untersucht, welche Anwendungen von Gene Drives in der Landwirtschaft geplant sind. Der Bericht beschreibt, wie Gene Drive-Organismen genutzt werden könnten, um Fliegen, Mücken, Würmer und andere Insekten auszurotten oder Unkräuter empfindlicher für Pestizide zu machen.
„Die Anwendung von Gene Drives auf Ernährung und Landwirtschaft stellt die bisherigen Strategien der Biotech-Industrie auf den Kopf,“ erklärt Jim Thomas, Co-Executive Direktor der ETC Group. „Zuvor hatten Agrarkonzerne gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere entwickelt. Jetzt, da die Verbraucher keine GVO-Lebensmittel kaufen, soll stattdessen der Rest des Ökosystems gentechnisch verändert werden - das Unkraut, die Schädlinge und die Bestäuber.“

In einem Brief an deutsche NGOs hat das Bundesumweltministerium unlängst klargestellt, dass es Freisetzungen von Gene Drive Organismen sehr kritisch beurteilt und sich auch international dafür einsetzt, die Risiken umfassender zu untersuchen. „Gene Drives werden erst durch den Einsatz der CRISPR-Cas Technologie möglich, die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner und der deutsche Bioökonomierat möglichst bald deregulieren wollen, weil der Europäische Gerichtshof im Sommer klarstellte, dass es sich dabei um Gentechnik handelt,“ erläutert Benny Haerlin von der europäischen Initiative „Save Our Seeds… Nun zeigt sich, dass mit ihrer Hilfe nicht rückholbare, gentechnische Veränderungen globalen Ausmaßes möglich werden. Solchen Allmachtsphantasien sollte von Anfang an ein Riegel vorgeschoben werden!“

Gene Drives stehen auch auf der Tagesordnung der 14. Vertragsstaatenkonferenz des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt, die vom 17. bis 29. November in Ägypten stattfindet. Die CBD-Mitgliedsregierungen beraten dort u.a. über ein mögliches Moratorium auf Gene Drives. Über ein Moratorium für "Gene Drives" soll am 23. Oktober auch das Europäische Parlament ihm Rahmen seiner Stellungnahme zur CBD abstimmen.

14. Oktober 2018

IWF/Weltbank-Bali-Treffen: Aktienbeben, neuer Kalter Krieg, Deregulierung

Donald Trump verkauft den Höhenflug der Aktienwerte gerne als stärksten Beleg für den „Erfolg“ seiner Regierung. Doch dieses „Argument“ wird ihm niemand mehr abnehmen, wenn der Einbruch an den Börsen in der letzten tatsächlich den Übergang vom Bullenmarkt der letzten Jahre in den Bärenmodus ankündigen sollte, wie viele Beobachter glauben. Ironischerweise fand der drastischste Kursrückgang seit Trumps Amtsantritt ausgerechnet in der Woche statt, in der die Bretton-Woods-Zwillinge IWF und Weltbank ihre Jahrestagung abhielten. Dort dreht sich in der Regel viel darum, wie die weltweite Konjunktur am Laufen gehalten oder wieder angekurbelt werden kann. Doch diesmal war neben recht hilflos klingenden Aufrufen zu besserer Kooperation vor allem eines tonangebend: die Beschwörung künftiger Krisen. Wenig Widerspruch gab es zu der Schlussfolgerung des IWF, dass „politische Unsicherheit, historisch hohe Schuldenstände, wachsende fiskalische Verwundbarkeiten und begrenzte Politikspielräume das Vertrauen und die Wachstumsaussichten weiter unterminieren könnten“.


Es hat schon etwas Beklemmendes, wenn zur gleichen Zeit der Heraufzug der Agenda eines neuen Kalten Krieges (diesmal der USA gegen China) beobachtet werden kann (>>> US hunkers down for a new cold war with China) und die Weltbank ihr Ziel der Armutsbekämpfung hochhält, während Peking doch in den letzten Jahrzehnten unbestreitbar die meisten Menschen aus der Armut geholt hat. Fast wie aus der Zeit gefallen wirkt da der neue Hype der Weltbank um Investitionen ins Humankapital, der auf der Tagung in Bali mit der Veröffentlichung eines Human Capital Index unterstrichen wurde. Damit soll künftig gemessen werden, ob die einzelnen Länder genug in Bildung, Gesundheit und andere Soft-Themen investieren, um die Leute fit zu machen für die Globalisierung, die digitale Zukunft etc.

Doch dies nützt wenig, wenn die Bank auf der anderen Seite immer noch Gegenläufiges praktiziert und gegenläufige Konzepte propagiert. So hat die Umwelt- und Entwicklungsorganisation „urgewald“ zur Jahrestagung bekanntgegeben, dass in den Jahren 2015-2018 immer noch 37 bis 40% ihrer mit Umsiedelungen verbunden waren. In Bali selbst veröffentlichte die Weltbank ihren Weltentwicklungsbericht 2019 – einst das Vorzeigestück der „Wissensbank“ im Kampf um ideologische Hegemonie in der Entwicklungsgemeinde. Nach dem Bericht sind Befürchtungen, dass technologische Fortschritte Jobs vernichten und/oder zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen beitragen, „weitgehend unbegründet“. Stattdessen, so wird argumentiert, trägt Innovation zur Schaffung neuer Jobs und Chancen bei. Letzteres ist nicht ganz falsch. Wenn dann aber gefordert wird, dass dazu die Regulierung der Arbeitsmärkte „flexibler“ werden und die Arbeitskosten für die Firmen gesenkt werden müssen, dann ist das wenig mehr als die alte Deregulierungsagenda, mit der sich die Weltbank schon früher unbeliebt gemacht hat. Kein Wunder, dass der Bericht unter Gewerkschaften und NGOs massive Enttäuschung ausgelöst hat. „Die Kernbotschaft ist,“ so Max Lawson von Oxfam International, „dass die Rechte und Freiheiten der Armen bzw. der Arbeiter rund um die Welt zu weit getrieben wurden und wie sie im Interesse des Fortschritts verwässern müssen.“ Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

12. Oktober 2018

Jahrestagung von IWF und Weltbank: Es regnet

Für jede Jahrestagung entwerfen die Designer des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank ein Logo, das die Konferenzsäle zieren soll. Das diesjährige, so wie es derzeit in Bali/Indonesien zu bestaunen ist, erinnert fatalerweise an einen Grabstein (s. Abbildung) – so als würde man schon einmal Sorge dafür tragen, die Nachkriegsordnung zu beerdigen. In der Tat ist in Bali in diesen Tagen von nichts häufiger die Rede als von der „Krise des Multilateralismus“. Die Chefs von IWF, Weltbank, WTO und OECD lancierten gemeinsam einen dramatischen Aufruf zur Rettung der multilateralen Institutionen und des internationalen Handelssystems. Und die Chefin des IWF, Christine Lagarde benannte drei zentrale Herausforderungen, denen sich die Weltwirtschaft gegenübersieht: die Schaffung eines „besseren Handelssystems“, die Verhinderung fiskalischer und finanzieller Turbulenzen und die Wiederherstellung des Vertrauens in Politik und Institutionen.


Die Grabsteinsymbolik mag übertrieben oder verfrüht sein, auch wenn Totengräber wie Trump und Konsorten reichlich zur Verfügung stehen. Doch so zahlreich wie diesmal waren die Risiken für die weltwirtschaftliche Entwicklung selten. Sicher – die Konjunktur insgesamt läuft noch; der IWF hat seine Prognose für 2018 und 2019 nur geringfügig auf 3,7% nach unten korrigiert. Aber es sind längst nicht mehr Wolken am Horizont, die sich da auftürmen, sondern direkt über uns. Und auch keine Wolken, aus denen es gelegentlich tröpfelt, sondern offene Wolken, die Regen mit sich führen, wie Lagarde in ihrer Eröffnungsrede treffend sagte. Am stärksten trifft der Regen bereits die sog. Emerging Markets, in denen Währungsturbulenzen offen ausgebrochen sind (>>> Die Währungsunruhen in den Schwellenländern). Fürs erste sind es vor allem Argentinien und die Türkei. Doch daraus könnte schnell ein Flächenbrand werden.

Eine Angst, die in Bali umgeht, besteht deshalb darin, dass der IWF für einen solchen Fall nicht gerüstet sein könnte. Mit Argentinien hat der Fonds bereits das größte Bail-out-Programm seiner Geschichte beschlossen (>>> Ein neuer IWF in Argentinien?), einen weiteren Antrag hat in Bali die türkische Regierung überreicht. Wenn weitere Schwellenländer dazu kommen (auf der Liste stehen Südafrika, die Türkei und Venezuela; selbst die Währung des Gastgeberlandes Indonesien hat seit Jahresbeginn viel an Wert verloren und ist jetzt auf dem Tiefstpunkt seit 20 Jahren angekommen), könnte die „Kriegskasse“ des IWF schnell erschöpft sein. Und so erleben wir derzeit einmal wieder, wie der Fonds sich auf die Suche nach neuem Geld begibt. Erstaunlicherweise sollen diesmal selbst die USA unter Trump zu einer Kapitalaufstockung bereit sein – so erfreut ist die Regierung über das Rettungsprogramm für Argentiniens Macri. Doch generell fürchten die Länder aufgrund historischer Erfahrungen die mit den IWF-Programmen einhergehenden Auflagen, die trotz fulminanter Rhetorik in den letzten Jahren kaum sozialer geworden sind. Neues Geld gegen Reformen – von so einem Deal ist der IWF noch weit entfernt, auch wenn seine Apelle gegen den Handelskrieg, seine Aufrufe, die nach der Finanzkrise eingeführten Regulierungen nicht wieder zu lockern oder selbst die offene Inschutznahme der US-amerikanischen FED gegen Trump in manchen Ohren ganz angenehm klingen mögen.

11. Oktober 2018

Schattenbanken in der Entwicklungsfinanzierung?


92 renommierte Ökonomen aus zahlreichen Ländern haben anlässlich der Jahrestagung von IWF und Weltbank diese Woche in Bali/Indonesien in einem offenen Brief davor gewarnt, die Entwicklungs- und Infrastrukturfinanzierung auf das Schattenbanksystem umzustellen. Unter dem Stichwort „Maximizing finance for Development“ (MFD) planen die Weltbank und weitere multilaterale Entwicklungsbanken, in großem Stil, Kredite zu verbriefen, und in nach Risiko abgestuften Tranchen als handelbare Finanzprodukte an globale Investoren zu verkaufen. Betroffen sind vor allem Sektoren der wirtschaftlichen und sozialen Infrastruktur wie Transport, Wasser, Energie, Bildung und Gesundheit. Dazu werden öffentlich-private Partnerschaften (PPPs) aufgesetzt.


Die Ökonomen, darunter renommierte Stimmen wie Kevin Gallagher (Boston University, Co-Chair der T20 Arbeitsgruppe zu Finanzarchitektur) und Jayati Ghosh (Jawaharlal Nehru Universität, Delhi), erinnern daran, dass durch diese Pläne das System der sog. Schattenbanken, die weit weniger strengen Auflagen wie Banken unterliegen, massiv in den globalen Süden ausgeweitet werde. Die Verbriefung sei anfällig für Fehlanreize, aggressive Fremdkapitalaufnahme und für aggressiven Vertrieb der zugrundeliegenden Kredite an Kunden, die sich diese Kredite nicht leisten können. Sie führe zu systemischer Verflechtung und Instabilität. Die Weltbank agiere dabei auf Basis der Beschlüsse der G20, die im Frühjahr eine Roadmap zu Infrastruktur als Anlageprodukt verabschiedet hat.

Grundlage der „Maximizing Finance for Development“-Strategie sind PPP-Verträge, die standardisiert werden sollen. Die Weltbank hat hierfür Vertragsmuster vorgelegt, die die renommierte Kanzlei Foley Hoag im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung analysiert hat. Diese Analysen zeigen: Die Verträge begünstigen einseitig Investoren und verschieben Risiken auf die öffentliche Hand. Sie können zu den aus der TTIP-Debatte bekannten Investorenklagen führen, wenn der Staat Schritte unternimmt, die die Gewinne der Investoren schmälern. Das kann zu einer massiven Bremse für die dringend notwendige Klimapolitik führen.

„Die Pläne von G20 und Weltbank sind brandgefährlich“, warnt Jörg Haas von der Heinrich Böll-Stiftung. „Eben wurde noch der Wirtschaftsnobelpreis an William Nordhaus vergeben, der für eine Besteuerung von CO2-Emissionen argumentiert. Doch solche Maßnahmen könnten zukünftig zu milliardenschweren Investorenklagen führen, wenn Autobahnen oder Kraftwerke mit PPPs betrieben und über globale Finanzmärkte finanziert werden. Finanzminister Olaf Scholz und Entwicklungsminister Gerd Müller müssen ihren Einfluss in der Weltbank und der G20 nutzen, um diese gefährlichen Pläne zu korrigieren!“

Auf Bali (Indonesien) treffen sich am Rande der IWF/Weltbank-Jahrestagung zurzeit die Finanzminister und Zentralbankgouverneure der G20. Dabei werden sie einen Bericht der „Eminent Persons Group on Global Financial Governance“ entgegennehmen, der ebenso wie die Weltbank-Pläne in großem Stil die Verbriefung von Entwicklungskrediten vorschlägt. Die Heinrich-Böll-Stiftung (Büro Washington) legt dazu eine aktuelle kritische Analyse dieses Berichts vor.