19. Januar 2017

Auf den Kopf gestellt: Die Davos-Welt 2017

Das Motto des Weltwirtschaftsforums, das derzeit wieder in Davos stattfindet, lautet in diesem Jahr sinnigerweise „Responsible and responsive leadership“. Doch wenn es am Freitag dieser Woche seine Tore schließt, wird in Washington ein Mann in sein Amt eingeführt werden, den die meisten Davos-Leute ganz bestimmt nicht als verantwortungsbewussten Politiker einstufen würden: Donald Trump. Donald Trump war auch in Davos der „elephant in the room“, der das Treffen der gut 3000 Politiker, Wirtschaftskapitäne und Vertreter der Zivilgesellschaft überschattete – stellen doch seine Antiglobalisierungsrhetorik, seine protektionistischen und klimafeindlichen Sprüche so ziemlich alles auf den Kopf, was das Glaubensbekenntnis der Davos people ausmacht.

Für die Trump-Leute ist Davos der Inbegriff des Globalismus; der neue Chefstratege Trumps im Weißen Haus, Steve Bannon, denunzierte die „Davos-Partei“ sogar als Sammlung einer rückgratlosen globalen Elite, die keinerlei Sorge für die einfachen Leute oder die Nation umtreibe. Linke Globalisierungsgegner hätten dies nicht viel anders formuliert.

Dabei mischt sich seit einigen Jahren durchaus Sorge um die wachsende soziale Ungleichheit in den Davos-Sprech, wenn auch nicht in jener Deutlichkeit, mit der die Entwicklungsorganisation Oxfam auch in diesem Jahr wieder das Thema unter die Leute brachte. Immerhin konnte in diesem Jahr die IWF-Chefin Christine Lagarde darauf verweisen, dass sie in Davos schon 2013 vor den Gefahren einer explodierenden Einkommens- und Vermögensungleichheit für die westlichen Gesellschaften gewarnt hatte.

Die profilierteste Verteidigung der Globalsierung kam in Davos jedoch ausgerechnet von Xi Jinping, dem Präsidenten eines Landes, dem die stärksten westlichen Wirtschaftsmärkte in der WTO bis Ende letzten Jahres den Status einer Marktwirtschaft verweigerten. Xi, der in Davos die Eröffnungsrede hielt, stellte klar, dass „viele der Probleme, die der Welt zu schaffen machen, nicht durch die ökonomische Globalisierung verursacht werden“. Als Beispiel nannte er die globale Flüchtlingskrise, für die Kriege und eine falsche Sicherheitspolitik verantwortlich seien – obwohl er den treffenden Begriff des Regime-Change-Flüchtlings nicht in den Mund nahm.

Xi Jinping überraschte die Delegierten nicht nur mit einer „robusten Verteidigung der Globalisierung“ – so die Financial Times. Er demonstrierte ihnen auch, wie man das macht. „Wir sollten anerkennen, dass ökonomische Globalisierung ein zweischneidiges Schwert ist. Die Fallstricke der Globalisierung wurden offen gelegt und wir müssen sie Ernst nehmen.“ Und er fügte hinzu: „Es stimmt, dass ökonomische Globalisierung einige neue Probleme geschaffen hat. Aber dies ist keine Rechtfertigung dafür, die ökonomische Globalisierung überhaupt abzuschreiben.“

Wer die Globalisierung wirksam verteidigen will, so könnte man Xi vielleicht zusammenfassen, muss zu Veränderungen bereit sein. In diesem Sinne plädierte Xi für ein „Rebalancing“ der ökonomischen Globalisierung, damit alle Menschen an ihren Vorteilen teilhaben können, für eine neues Wachstumsmodell, dessen Merkmale Innovation, Inklusion und Nachhaltigkeit sein müssen. Er forderte mehr internationale Kooperation und mehr Multilateralismus, und ganz besonders eine Reform der Global Governance-Institutionen, die endlich die gewandelten Kräfteverhältnisse in der Weltwirtschaft widerspiegeln müssen. Ohne den neuen US-Präsidenten auch nur einmal namentlich zu erwähnen, forderte Xi eine entschlossenere Abwehr protektionistischer Gefahren und warnte, dass „aus einem Handelskrieg niemand als Gewinner hervorgehen wird.“

Dies war dann die Stelle, für die der chinesische Präsident den meisten Beifall der Delegierten auf offener Bühne bekam. Sie sollten sich jedoch die gesamte Rede nochmal in Zusammenhang durchlesen oder anhören. Sie ist ein Musterbeispiel dafür, wie ein Land von einem Globalsierungsskeptiker – Xi erinnerte auch an die anfängliche Zögerlichkeit Chinas gegenüber einem WTO-Beitritt – zu einem Player werden kann, der die Chancen der Globalisierung zielstrebig für sich genutzt hat, und diese Vorteile heute, spätestens seit der Großen Finanzkrise, an die Welt zurück gibt. Andere gehen vielleicht den umgekehrten Weg. Aber wer sagt, dass ihnen dabei alle folgen müssten?

1 Kommentar:

Erhard Crome hat gesagt…

André Gunder Frank besteht in "ReOrient" auf einer Zentralität nicht Europas, sondern Asiens und insbesondere Chinas. Dort konzentrierten sich mindestens von 1400 bis 1800 politische Macht, ökonomische Innovation und soziale Stabilität im Weltmaßstab. Insofern sei der Aufstieg Chinas seit Ende des 20. Jahrhunderts nicht die Störung einer europäisch bestimmten Normalität, sondern „untrennbar mit der fundamentalen Struktur und Kontinuität in der Weltentwicklung verbunden“. Frank untersucht die unterschiedlichen Weltregionen, die Entwicklungen in den verschiedenen Wirtschaftszweigen, von Technologien, Handelsbilanzen, demographische Entwicklungen und Lebensstandards. „Bevölkerungsdynamik, Handelsgüter und Handelsbilanzüberschuss deuten auf eine klare Häufung von gewerblicher und organisatorischer Kompetenz, Komplexität und Kommodifizierung bei den asiatischen Partnern hin, sodass die These der führenden Rolle Europas in der sich verdichtenden Weltwirtschaft der frühen Neuzeit nicht länger aufrecht zu erhalten ist“, schreibt Andrea Komlosy, Professorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien, in ihrem Vorwort ...
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