7. Februar 2012

EU-Indien-Gipfel: Gefahren des Freihandelsabkommens

Gastkommentar von Ska Keller, MdEP

Am 10. Februar wird in Neu-Delhi der nächste EU-Indien Gipfel stattfinden. Die Kommission drängt auf einen schnellen Abschluss der Verhandlungen zum umstrittenen EU-Indien-Freihandelsabkommen. Das Ende der seit 2007 andauernden Verhandlungen scheint jedoch erstmal wieder in weite Ferne zu rücken. Der Gipfel wir vermutlich nur noch einen Fahrplan zu dem Abschluss der Verhandlungen bringen – zu groß sind noch die Konflikte zwischen der europäischen und der indischen Seite.

Es gibt schwerwiegende Befürchtungen auf Seiten der Kritiker des Abkommens: Die EU betont immer wieder, Indien sei ein "gleicher Partner" in den Verhandlungen. Indien ist aber alles andere als gleich: Indiens Nationaleinkommen macht nur 6% von dem der EU aus. Indien ist einer der Staaten mit dem weltweit größten Anteil an armer Bevölkerung. 792 Millionen Menschen – das sind fast drei Viertel - leben unterhalb der Armutsgrenze. Diese Zahlen zeigen, dass eine solch umfassende Liberalisierung, wie sie die Kommission vorantreibt, in Indien ganz andere Auswirkungen als in der EU haben wird.

Die EU will weitreichende Verschärfungen der geistigen Eigentumsrechte durchsetzen, die sogar über die Vorgaben des TRIPS-Abkommens der Welthandelsorganisation hinausgehen. Indien ist momentan der wichtigste Hersteller für lebensrettende AIDS-Medikamente. Zu strikte Regelungen in dem Abkommen könnten die Generika-Produktion eindämmen, zumal die Kommission laut indischer Presseberichte wieder die umstrittene "Datenexklusivität" in die Verhandlungen eingebracht hat, nachdem das Thema aufgrund einer Resolution des Europaparlaments und Druck aus der Zivilgesellschaft erstmal vom Tisch war. Datenexklusivität zwingt die Hersteller von Generikamedizin, teure und langwierige Tests durchzuführen, deren Ergebnisse schon längst bekannt sind.

Weiterhin gibt es Befürchtungen, was das Investitionskapitel angeht. Die EU Kommission setzte sich für ein sog. „investor-to-state dispute settlement system“ ein. Bei einer Aufnahme in das Abkommen hätte dies zur Folge, dass Investoren Indien (und auch die EU Mitgliedsstaaten) bei einem internationalen Schiedsgericht wegen vermeintlicher Investitionsbarrieren verklagen können. Wie die Praxis in anderen Staaten zeigt, betrifft dies oft soziale oder ökologische Regulierungen.

Wir fordern deshalb in einem Brief von mehreren Abgeordneten an Handelskommissar de Gucht eine Verhandlungspause und eine Menschenrechts-Folgeabschätzung des Abkommens (>>> hier). Die Idee einer solchen Folgenabschätzung ist besonders wichtig, um die möglichen Folgen einer weitreichenden Liberalisierung auf verwundbare Gruppen wie KleinbäuerInnen, FischerInnen und KleinhändlerInnen in Indien zu analysieren. Diese Abschätzung muss vor Abschluss eines Freihandelsabkommens und auch noch einige Zeit nach Inkrafttreten unternommen werden, weil manche Folgen erst später auftreten können. Die Regierung muss dann die Möglichkeit bekommen, bestimmte Regelungen des Freihandelsabkommens wieder rückgängig machen zu können.

* Auf einer Grünen Konferenz im Europaparlament im Dezember vergangenen Jahres wurden diese Vorschläge diskutiert (>>> hier). Die gesamte Konferenz kann man hier anschauen.

* Die Heinrich-Böll-Stiftung hat zusammen mit Misereor eine umfassende Analyse der Folgen des Freihandelsabkommens für das Recht auf Nahrung erstellt (>>> hier).

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