26. Mai 2010

Entwicklungshilfe: Fünf einfache Vorschläge zur Finanzierung

Die Industrieländer klagen über Schwierigkeiten, in der Krise die Verpflichtungen zur Steigerung der Entwicklungshilfe einzuhalten. Doch das Geld ist vorhanden. Die Not ist akut. Die Herausforderung hat eine moralische Dimension und erfordert Visionen. Jeffrey D. Sachs hat fünf einfache Vorschläge, wie mehr Entwicklungshilfe finanziert werden kann.

Zunächst könnten die USA ihren kostspieligen und gescheiterten Krieg in Afghanistan beenden, der jährlich rund 100 Mrd. Dollar verschlingt. Gäben die USA einen winzigen Bruchteil dieser 100 Milliarden für Entwicklungshilfe in Afghanistan, wären sie weit erfolgreicher bei der Herstellung von Frieden und Stabilität in diesem vom Krieg verwüsteten Land.

Die USA könnten beispielsweise jährlich 25 Mrd. Dollar für Entwicklungshilfe zur Verfügung stellen und weitere 25 Milliarden für weltweite Gesundheitsversorgung. Damit würden sie noch immer 50 Mrd. Dollar einsparen und damit zur Reduzierung des amerikanischen Haushaltsdefizits beitragen. Afghanistan und damit auch die USA würden um einiges sicherer und die Welt viel gesünder werden. Außerdem würde die US-Wirtschaft enorm profitieren.

Ein zweiter Ansatz ist, große internationale Banken zu besteuern, die mit ihren spekulativen Geschäften exorbitante Gewinne erwirtschaften. Aber selbst nachdem die Wall Street die Weltwirtschaft beinahe zugrunde gerichtet hätte, wurde sie von der US-Regierung gehätschelt und geschützt und man ermöglichte ihr im letzten Jahr die Rückkehr zu sagenhaften Gewinnen, die wohl um die 50 Mrd. Dollar ausmachten.

Die Banker genehmigten sich erneut riesige Boni – über 20 Mrd. Dollar im Jahr 2009. Dieses Geld hätte eher zu den ärmsten Menschen dieser Welt fließen sollen, als in die Taschen der Banker, die es sich gewiss nicht verdient haben.

Es ist Zeit für eine internationale Steuer auf Bankengewinne – vielleicht als Abgabe auf internationale Finanztransaktionen – die jährlich zweistellige Milliardenbeträge einbrächte. Bei ihren Bemühungen um die Einführung einer solchen Steuer sollten sich die Entwicklungsländer nicht mit den jämmerlichen Ausreden der USA und anderer Länder abspeisen lassen, mit denen sie ihre Banker schützen wollen.

Eine dritte Möglichkeit wäre, vermehrte Zuwendungen von den reichsten Menschen der Welt zu erhalten. Einige unter ihnen wie Bill Gates, George Soros, Warren Buffett und Jeffrey Skoll sind bereits Mega-Philanthropen und spenden enorme Summen zum Wohl der Menschen auf der ganzen Welt. Auf vergleichbare Beiträge anderer Milliardäre wird jedoch noch gewartet.

Der jüngsten Forbes-Liste zufolge, gibt es auf der Welt 1.011 Milliardäre, die gemeinsam über ein Vermögen von 3,5 Billionen Dollar verfügen. Wenn jeder Milliardär 0,7% dieses Vermögens zur Verfügung stellte, würde sich die Gesamtsumme auf 25 Mrd. Dollar jährlich belaufen. Man stelle sich das vor: 1.000 Menschen könnten eine medizinische Grundversorgung für eine Milliarde arme Menschen finanzieren.

Eine vierte Möglichkeit ist, sich Firmen wie Exxon-Mobil anzusehen. Dieses Unternehmen verdient in Afrika jährlich Milliarden Dollar, aber laut einem Online-Bericht des Konzerns gab man zwischen 2000 und 2007 lediglich etwa 5 Mio. Dollar jährlich für Malaria-Kontrollprogramme in Afrika aus. Exxon-Mobil könnte und sollte viel mehr Geld für die dringend benötigte medizinische Grundversorgung des Kontinents zur Verfügung stellen. Die Mittel dafür könnten aus Lizenzgebühren kommen, die das Unternehmen bezahlt oder von philanthropischen Spenden des Konzerns.

Fünftens haben neue Geberländer wie Brasilien, China, Indien und Korea genügend Vision, Energie, wirtschaftliche Dynamik und diplomatisches Interesse, um ihre Unterstützung für die ärmsten Länder sowie auch für die ärmsten Gegenden in ihren eigenen Ländern auszuweiten. Wenn die USA und Europa zu nachlässig sind, um ihren Teil zu erfüllen, können und werden die Schwellenländer einspringen, um diese Lücke teilweise zu füllen. Glücklicherweise werden diese neuen Geberländer zu vertrauenswürdigen Partnern in Afrika.

Auszug aus einem Kommentar für Project Syndicate, 2010.

21. Mai 2010

Obamas Finanzmarktreform passiert Senat

Obama hat seine Finanzmarktreform durch den Senat gebracht. Die deutsche Bundesregierung erhielt im Bundestag die notwendige Mehrheit für den deutschen Anteil am europäischen Rettungsschirm. Parallel also alle auf dem Weg? Nicht ganz. Während das Handeln der Europäer vom Krisenmanagement in der Schuldenkrise dominiert wird, arbeitet die Obama-Administration an einer systematischen Reregulierung der Finanzmärkte, selbst wenn ihre Maßnahmen im Einzelnen nicht weit genug gehen mögen.

Die Hauptpunkte der jetzt beschlossenen Reformen:

* Konsumentenschutz: Eine neue Behörde zum Schutz der Konsumenten bei Finanzprodukten wird eingerichtet. Sie soll den Missbrauch von Immobilienkrediten, Kreditkarten und anderen Kreditformen aufdecken und diese notfalls verbieten.

* Transparenz bei Derivaten: Außerbörslich gehandelte Derivate („over the counter“) müssen sich künftig bei Clearingstellen registrieren lassen. Ausnahmen gibt es nur beim Hedging gegen Risiken von Nicht-Finanzunternehmen.

* Auflösung von Finanzfirmen: Banken und andere Finanzfirmen, die zu scheitern drohen und zu einer systemischen Gefahr werden, können künftig von der Regierung aufgelöst werden. Letztere bezahlt die Schulden der Bank bei Gläubigern, holt sich das Geld jedoch durch eine Abgabe auf Banken und Finanzfirmen zurück.

* Regulierung systemischer Risiken: Ein neuer Aufsichtsrat für Finanzstabilität („Financial Stability Oversight Council“) unter dem Vorsitz des Finanzministers soll systemisch relevante Unternehmen und die Entstehung von Blasen identifizieren. Systemrelevante Finanzinstitutionen müssen dann stärke Rücklagen bilden, ihre Schuldenhebel und Liquiditätsstandards werden begrenzt und die müssen Vorkehrungen für ihre eigene Abwicklung im Falle des Scheiterns treffen.

* Volcker Rule: Banken müssen künftig Kundengeschäft und Investmentbanking trennen. Sie dürfen keine Kundeneinlagen mehr verwenden, um Spekulationsgeschäfte zu machen, und müssen ihre Beteiligung an Hedge- und Private Equity-Fonds aufgeben.

18. Mai 2010

Sind wir jetzt alle Attacies?

Jetzt sind wir alle Attacies, könnte man in Anlehnung an ein berühmtes Bonmot des ehemaligen US-Präsidenten Richard Nixon („Jetzt sind wir alle Keynesianer“) sagen, nachdem die schwarz-gelbe Koalition unter Einschluss der FDP heute Morgen auf die Befürwortung einer Finanzmarktsteuer eingeschwenkt ist. In dem betreffenden Zusatz zur Koalitionsvereinbarung heißt es allerdings: „Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich auf europäischer und globaler Ebene für eine wirksame Finanzmarktsteuer - das heißt Finanztransaktionssteuer oder Finanzaktivitätssteuer – einzusetzen.“ Das Abkommen schließt auch die Forderung nach einem Verbot von Leerverkäufen und einer öffentlichen europäischen Rating-Agentur ein.

Attac selbst und das katholische Hilfswerk Misereor haben den Kurswechsel der Bundesregierung stürmisch begrüßt. Attac verweist jedoch zu Recht auf einen Pferdefuß in der neuen Position, die ein Umfallen der Bundeskanzlerin und des Außenministers zugleich anzeigt: Die scheinbare Gleichstellung der beiden Steuerkonzepte darf nicht darüber hinweg täuschen, dass die Finanztransaktionssteuer (FTT) ein wesentlich stärkeres Regulierungs- und Finanzierungsinstrument ist als die vom IWF in die Debatte eingeführte Finanzaktivitätssteuer (FAT). Letztere besteuert eigentlich gar nicht die Aktivitäten auf den Finanzmärkten, sondern lediglich die Gewinne und bestimmte Personalvergütungen. Sie kann damit zwar auch zur Einschränkung risikoreicher Aktivitäten beitragen, verändert aber, wie der IWF im Entwurf seiner Studie für die G20 selbst schreibt, nicht den Charakter der Marktaktivitäten. Auch die Aufbringungswirkung der FAT ist unklar, weil der IWF keinen Besteuerungssatz vorschlägt.

Interessant an der Diskussion FAT versus FTT ist, dass der IWF mit seinen Vorschlägen in der Finanzpresse ziemliche Entrüstung ausgelöst hat. So wurde geschrieben, alles dies sei eine unzumutbare Belastung für die Banken, die durch verschärfte Rücklagevorschriften ohnehin schon geschröpft würden. Ungeachtet dessen wurde die FAT in den letzten Tagen ausgerechnet von den Neoliberalen als Alternative zur Finanztransaktionssteuer präsentiert. Es ist schon so, wie unsere Autorin Nicola Liebert in ihrer Stellungnahme für das Bundestagshearing geschrieben hat: „Die Beliebigkeit der Argumente gegen eine FTT weist darauf hin, dass es den Gegnern einer Finanzmarktsteuer nicht immer um sachliche Fragen geht, sondern oftmals nur darum, die FTT mit allen Mitteln zu verhindern.“ (>>> Bankenabgabe versus Finanztransaktionssteuer)

Finanztransaktionssteuer: Der Durchbruch?

Das könnte der Durchbruch sein. Heute Nacht haben sich die Finanzminister der Eurozone für die Einführung einer Besteuerung von Finanztransaktionen ausgesprochen. Sie wollen den Druck auf Großbritannien und die USA für eine solche Finanztransaktionssteuer (FTT) erhöhen und – sollte das nichts fruchten – die Steuer notfalls zunächst auch nur in der Eurozone einführen. „Wir können uns nicht immer nur hinter den Amerikanern verstecken“, sagte der Vorsitzende der Eurogruppe, der Luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker. Das ist das Szenario, auf das die Anhänger der FTT immer gesetzt haben und bis heute setzen.

Noch gestern war auf einem Bundestagshearing über die in mehreren Anträgen geforderte FTT (17/527, 17/518, 17/471, 17/1422) heftig gestritten worden. So erklärte der Münchener Professor Christoph Kaserer, er lehne diese Steuer ab, da sie die Preisbildungseffizienzen der Märkte reduzieren würde. Vertreter der Finanzbranche arbeiteten mit ähnlich aufgewärmten Argumenten. Die Deutsche Bundesbank teilte mit, die Steuer sei grundsätzlich geeignet, Transaktionen zu verteuern und damit deren Häufigkeit zu reduzieren. Es seien jedoch nicht nur spekulative Geschäfte, sondern auch Anlagen von Versicherungen und Investmentfonds betroffen. Falls eine globale Umsetzung nicht gelinge, sei von Ausweichreaktionen der Marktteilnehmer auszugehen. Die „Gruppe Deutsche Börse“ ergänzte, die Steuer würde Anreize schaffen, noch stärker als bisher in die Nischen auszuweichen, die von der Steuer nicht erfasst seien. Die Deutsche Bank Research sah im Gegensatz zur FTT eine Bankenabgabe als das geeignetere Mittel an. Damit werde Kapital geschaffen, um die Abwicklung systemischer Institute zu ermöglichen. Der Bankenverband zeigte ebenfalls Sympathien für die Bankenabgabe. Der Verband der Pfandbriefbanken sah erhebliche Probleme bei der Finanztransaktionssteuer.

Anders die Befürworter: Marit Schratzensteller-Altzinger vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschungen bezeichnete die Finanztransaktionssteuer als „unseren Favoriten“. Bei einem Steuersatz von 0,01% je Transaktion werde sie europaweit 80 Mrd. € einbringen, davon in Deutschland 12 Mrd. €. Die Steuer habe ein viel höheres Aufkommen als die von der Bundesregierung erwogene Bankenabgabe und habe Stabilisierungswirkungen gegen die kurzfristige Spekulation, was bei der Bankenabgabe nicht der Fall sei. Bei der Bankenabgabe sah Schratzensteller-Altzinger das Problem, dass sie wegen ihrer Versicherungswirkung (das Aufkommen soll in einen Fonds zur Bewältigung künftiger Krisen fließen) die Risikobereitschaft der Banken sogar noch erhöhe.

Auch der Deutsche Sparkassen- und Giroverband sowie der Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken befürworteten die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Eine Bankenabgabe werde sie als Kreditgeber des Mittelstands stärker treffen als die Finanztransaktionssteuer, betonten sie. Auch Max Otte von der Fachhochschule Worms wies auf die Belastung der Sparkassen und Genossenschaftsbanken durch die Bankenabgabe hin. Dagegen habe die Finanztransaktionsteuer die gewünschte Lenkungswirkung. Je langfristiger angelegt werde, desto geringer falle die Belastung aus, sagte Otte. Rudolf Hickel von der Universität Bremen wies Befürchtungen zurück, Kleinsparer könnten durch eine Finanztransaktionsteuer übermäßig belastet werden. Es gehe allein darum, die kurzfristige Spekulation durch die Steuer zu verteuern. Die Bankenabgabe lehnte Hickel mit dem Hinweis ab, sie bestrafe genau diejenigen Institute, die sich in der letzten Krise ordentlich verhalten hätten.

Die österreichische Wirtschaftskammer bezeichnete die FTT als fair, weil sie langfristiges Investment schone und kurzfristiges belaste. Wichtig sei auch, mit den Erträgen die Haushalte zu sanieren. „Wir sind doch alle in Richtung Griechenland unterwegs – mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten“, sagte ein Sprecher der Kammer in der Anhörung. Der per Video zugeschaltete österreichische Finanzstaatssekretär Andreas Schieder erklärte, ein Signal des Bundestages für die Steuer könnte „den Durchbruch in dieser wichtigen Frage bedeuten“. Jetzt kamen ihm die Finanzminister der Eurozone zuvor. Einen solchen Wettbewerb lobe ich mir.

>>> Bankenabgabe versus Finanztransaktionssteuer
>>> Stellungnahmen zum Bundestagshearing

10. Mai 2010

Rettungsschirm? Rette sich, wer kann!

Jetzt haben wir nach dem Rettungsschirm für die Banken also auch einen Rettungsschirm für den Euro. Einen Rettungsschirm für die Menschen, wie ihn das Welternährungsprogramm der UNO in einer Kampagne fordert, haben wir immer noch nicht. Und es lässt sich auch bezweifeln, ob wir jemals so etwas bekommen werden. Selbst wenn der IWF in seinem Beschluss zur Griechenland-Hilfe wieder betont, das damit verbundene Programm sei „sozial ausgeglichen“. In Wirklichkeit ist die damit verbundene Konditionalität so prozyklisch wie selten zuvor, die sozialen Einschnitte sind konkret und zeitnah, und einige Abfederungsmaßnahmen werden allenfalls vage für die Zukunft angedeutet (>>> Athens schmerzhafte interne Abwertung) – unglaublich wie der französische Sozialist Strauss-Kahn so etwas mitmachen kann.



Der IWF selbst rechnet in diesem Jahr für Griechenland infolge des Sparprogramms mit einem Wachstumseinbruch von -4% und im nächsten Jahr mit -2,6%. „Sometimes“, so die Sprecherin des Fonds in diesem Reuters-Video, könnte sich das dann wieder ins Positive wenden. Es kann aber auch noch viel schlimmer kommen, wenn das vergleichbare Lettland-Szenario eintritt, das unser Freund Mark Weisbrot den Griechen als Zukunftsspiegel vorhält (>>> The Baltic Future of Greece). Es war geradezu unerträglich zu beobachten, wie bei dieser unsäglichen Bundestagsdebatte am letzten Freitag lediglich die Linkspartei die unsoziale Konditionalität, die mit dem Rettungspaket für Griechenland verbunden ist, ernsthaft bei ihrer Abstimmungsentscheidung berücksichtigte.

Am letzten Freitag fuhr ich mit einer Kollegin aus einem befreundeten Institut durch einen Bonner Vorort. „Irgendwann müssen die doch mal einsehen, dass sie die Finanztransaktionssteuer (FTT) brauchen, um staatliche Ausgaben zu finanzieren“, sagte sie. Da war noch nicht erkennbar, welch gewaltige Beträge die Staaten übers Wochenende mobilisieren würden. Zur gleichen Zeit vollzogen die Regierungsparteien im Bundestag einen Eiertanz, warum die FTT nicht geht. Jetzt haben wir gesehen, wie viel Geld die EU auf einmal bewegen kann, wenn es Ernst wird. Der neue Europäische Stabilisierungsmechanismus (ESM) ist in seinen Dimensionen in der Tat nur mit dem Rettungsschirm zu vergleichen, der nach der Lehmann-Pleite aufgespannt wurde. Er kommt der Währung und den Banken zupass. Doch wird er nicht verhindern, dass die Fortsetzung der Finanzkrise, die wir jetzt erleben, weitere soziale Härten mit sich bringen wird, und zwar für diejenigen, die das am wenigsten gebrauchen können. Rette sich, wer kann!

7. Mai 2010

Deutsche Mutti-Ökonomie

Gastkommentar von Dean Baker

Die Welt, spottete Keynes in seiner „General Theory“, werde regiert von Ideen von Ökonomen, die schon lange tot sind. Dieses Bonmot kam mir in den Sinn, als ich hörte, wie ein Mitglied des Deutschen Bundestags den Vorschlag, die Europäische Zentralbank solle eine etwas höhere Inflationsrate akzeptieren, verächtlich zurückwies. Der Vorschlag stammte immerhin von Oliver Blanchard, einem der weltweit renommiertesten Makroökonomen und Chef-Volkswirt des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Man muss keineswegs immer mit einem Ökonomen einer Meinung sein, ganz gleich wie berühmt er ist oder wo er arbeitet. Aber die Art und Weise der Absage war schon erstaunlich: Der Parlamentarier erklärte apodiktisch, Inflation habe „noch nie ein Problem gelöst“.

Das ist starker Tobak. Woher nimmt er dieses Wissen, oder wie wir als Kinder in Chicago gesagt hätten: „Hast du das von deiner Mutti?“

Blanchard und andere, die für eine höhere Inflation plädieren, haben jedoch sehr gute Argumente, warum eine moderate Preissteigerung durchaus zur Überwindung der Weltwirtschaftskrise beitragen könnte. Erstens mindert eine höhere Inflation den Realwert von Schulden. Davon profitieren alle Schuldner, seien es Privathaushalte, Unternehmen oder Länder.

Millionen von Hausbesitzern in den USA und in anderen Ländern mussten zusehen, wie sich mit dem Platzen der Immobilienblase ihr Vermögen in Luft auflöste. Eine geringfügige Inflationsrate würde dazu beitragen, dass die Immobilienpreise steigen und diese Familien zumindest einen Bruchteil ihres Vermögens wiedersehen. Dadurch würde auch die monatliche Hypothekenbelastung reduziert, sofern die Gehälter parallel zur Inflation steigen. Davon wiederum profitieren nicht nur die Familien: Eine geringere monatliche Belastung bedeutet, dass diese Familien mehr konsumieren können – und das kurbelt die gesamte Wirtschaft an.

Dasselbe gilt für viele Unternehmen, die vor einem Schuldenberg stehen. Mehr noch: Wenn Unternehmen wissen, dass die Preise der Güter, die sie herstellen, im Laufe eines Jahres um 3-4% steigen, werden Investitionen wesentlich attraktiver. Und schließlich erleichtert eine moderate Inflation die Schuldenlast, die heute so viele Länder drückt. Eine Inflation von 3% reduziert innerhalb von zehn Jahren den Realwert der Schulden bei festem Zinssatz um 26%, eine Inflation von 4% bedeutet sogar eine Minderung um 34%. Die moderate Inflation der 40er, 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts trug wesentlich dazu bei, dass die USA die enormen Schulden aus dem 2. Weltkrieg auf ein handhabbares Niveau zurückführen konnten.

* Irrationaler Ruf nach Bestrafung der Griechenlands

Inflation kann auch den Ländern der Eurozone mit hohen Arbeitskosten (z. B. Griechenland, Portugal oder Spanien) helfen, ihre Kosten unter Kontrolle zu bekommen. Wenn die Lohnsteigerungen in wettbewerbsfähigeren Ländern der durchschnittlichen Inflation der Euroländer entsprechen oder sogar darüber liegen, während die Löhne in den schwächeren Ländern nicht so schnell steigen, sollten letztere in der Lage sein, ihre Wettbewerbsfähigkeit schneller wieder zu verbessern.

Argumente dieser Art haben Blanchard und andere zugunsten einer etwas höheren Inflation vorgebracht. Aber dem deutschen Parlamentarier war das herzlich egal, denn er wusste ja von irgendwo her, dass „Inflation noch nie ein Problem gelöst hat“.

Politische Entscheidungen, die auf nicht hinterfragten Behauptungen (vorzugsweise aus den Lehren schon längst verblichener Ökonomen) beruhen, sind heute genau so kontraproduktiv, wie sie es in der ersten Großen Depression waren. In Europa zeigt sich dieses Drama in dem Wunsch, Griechenland zu bestrafen. Zweifellos: Griechenland muss seinen fiskalischen Augiasstall ausmisten. (Warum fordert eigentlich so einmütig niemand eine Steueramnestie, die die griechischen Schulden reduzieren und gleichzeitig zeigen würde, dass es das Land ernst meint mit dem Kampf gegen die Steuerflucht im großen Stil?) Aber niemand kann von dem Land verlangen, inmitten des stärksten Konjunkturabschwungs seit 70 Jahren seinen Haushalt auszugleichen.

Dasselbe gilt für Portugal, Spanien und andere europäische Volkswirtschaften, die in Schwierigkeiten sind. Eine Kontraktionspolitik wird die Rezession in diesen Ländern nur verschlimmern – und die negativen Auswirkungen auch in einige ökonomisch gesunde Länder tragen. Weniger Importe nach Spanien und Griechenland bedeuten weniger Exporte aus Deutschland und Frankreich. Darüber hinaus wird weiterer Druck auf diese Wirtschaften früher oder später doch zu einer Umschuldung führen. Die Schuldenlast wächst, wenn Volkswirtschaften schrumpfen – doch genau das scheint der Plan zu sein, der aus der ökonomischen Mitte Europas verfolgt wird.

Vielleicht ist es ausgleichende Gerechtigkeit, dass die Sparprogramme, die Deutschland konzipiert hat, eines Tages nach hinten losgehen könnten. Besser wäre es allerdings, wenn Deutschland von vorneherein eine gute Wirtschaftspolitik machen würde. In den 1930er Jahren konnte man schlechte Wirtschaftspolitik vielleicht noch entschuldigen – immerhin hat Keynes seine „General Theory“ erst 1937 veröffentlicht. Aber heute gibt es keine Entschuldigung mehr. Die Ideen von Keynes sind seit langem bekannt – überall. Es ist tragisch und ärgerlich zugleich, dass diejenigen, die in der Wirtschaftspolitik Entscheidungen treffen, gebensmühlenartig abgegriffene Klischees wiederholen, anstatt sich ernsthaft zu bemühen, eine Politik zu gestalten, die uns hilft, die aktuelle Krise zu überwinden.

Dean Baker ist Ko-Direktor des Center for Economic Policy Research (CEPR) in Washington. Sein Kommentar erschien zuerst auf www.guardian.co.uk.

2. Mai 2010

Der IWF im Griechenland-Test

„Interne Abwertung“ nennen die Ökonomen eine Anpassungsprozedur, der sich überschuldete Länder unterziehen müssen, wenn ihnen der Weg zu einer Währungsabwertung versperrt ist, weil sie entweder einer Währungsunion wie dem Euro angehören oder die nationale Währung fest an eine Leitwährung gebunden ist („peg“). Das jetzt beschlossene Sparprogramm Griechenlands trägt alle Merkmale einer solchen inneren Abwertung. Eine vertiefte Rezession ist dabei einkalkuliert.

* Das Programm und seine Elemente analysiert Rainer Falk
* Statement von Dominique Strauss-Kahn zum Stand-by-Abkommen
* Gemeinsames Statement von Olli Rehn (EU-Kommissar) und Dominique Strauss-Kahn