14. Januar 2009

2009: Window of Opportunity

Von Barbara Unmüßig und Rainer Falk

Willkommen im Jahr 2009! Während die globale Finanzkrise überall die Realwirtschaft erfasst hat und allenthalben Konjunkturpakete aufgelegt werden, wächst der Veränderungsdruck auf den „Baustellen der Globalisierung“. 2009 ist damit nicht nur ein tristes Rezessionsjahr, sondern repräsentiert auch ein „Window of opportunity“. Vieles ist oder könnte in Bewegung geraten. Doch besonders bemerkenswerte Veränderungen zeigen sich auf zwei Ebenen:

Auf der institutionellen Ebene ist die G20 quasi über Nacht zur zentralen Plattform des internationalen Krisenmanagements und für die Bemühungen um ein „neues Bretton Woods“ avanciert. Am 2. April in London wird sie bereits zum zweiten Mal zu einem Finanzgipfel zusammenkommen. Aber die große Mehrheit der Entwicklungsländer fühlt sich durch dieses Gremium nicht vertreten und will die UNO als Plattform stärken. Die UN-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung in Doha beschloss deshalb Ende letzten Jahres einen UN-Gipfel zur Weltfinanzkrise, dessen Modalitäten noch vor April von der Vollversammlung geklärt werden sollen. Das könnte langfristig auch den Stellenwert anderer Treffen relativieren, die in diesem Jahr stattfinden – sei es das ohnehin anachronistische G8-Treffen in La Maddalena/Italien im Juli oder die halbjährlichen Zusammenkünfte von IWF und Weltbank im Frühjahr und Herbst.

Das große Thema in der Debatte um Global Governance bleibt: Wie können Repräsentativität und demokratische Teilhabe aller mit Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit Hand in Hand gehen? Die Frage ist weitgehend ungelöst, wie sich gerade auch in der Welthandelsorganisation (WTO) zeigt. Deren Gremien befassen sich damit seit langem, ohne eine befriedigende Antwort gefunden zu haben. Die Entscheidungsebenen wechseln hin und her – mal ist es der (um Berichtspflichten gegenüber den diversen Ländergruppen reformierte) Green Room, mal sind es „Mini-Ministerials“, mal das Ministertreffen aller Mitgliedsländer. Letzteres ist das höchste Entscheidungsgremium und soll satzungsmäßig alle zwei Jahre stattfinden, hat aber seit Hongkong Ende 2005 nicht mehr getagt. Es wäre also mehr als überfällig im Jahr 2009, ungeachtet wie die Verhandlungen in der Doha-Runde weitergehen.

Auf der Ebene der politisch-ökonomischen Diskurse sind die vielleicht deutlichsten Veränderungen zu verzeichnen. Das zeigte sich Anfang dieses Jahres sogleich wieder auf einem Kolloquium, zu dem der französische Staatspräsident Sarkozy unter dem Motto „Neue Welt – neuer Kapitalismus“ nach Paris geladen hatte. Für einen wortgewaltigen Globalisierungskritiker wie Walden Bello wäre es das gefundene Fressen gewesen, um seine These von einer „Neuen Globalen Sozialdemokratie“ zu untermauern, wobei dieses neue „Projekt“ sein Personal eigenartigerweise gar nicht mehr ausschließlich, ja nicht einmal hauptsächlich aus der eigentlichen Sozialdemokratie rekrutiert, sondern eher quer zu den traditionellen Parteien (was natürlich auch die Verteilung derartiger Etiketten fragwürdig macht). Bemerkenswert ist, dass zwei konservative Regierungschefs – die deutsche Kanzlerin Merkel und der französische Präsident Sarkozy – unisono die Einrichtung eines Weltwirtschaftlichen Sicherheitsrates fordern. Es sind ohnehin die Europäer, die derzeit massiv versuchen, die Agenda einer Neuen Internationalen Finanzarchitektur zu prägen, wobei die Impulse dazu abwechselnd aus Paris, Berlin und London kommen.

Dass sich in den neuen Diskursen oft eine tiefe Kluft zwischen der Radikalität der Forderungen und dem, was real auf den Weg gebracht wird, offenbart, ist nicht verwunderlich. Es sollte Anlass sein, genauer hinzuschauen – eine Aufgabe, der wir gerade auch mit diesem Blog im neuen Jahr wieder gerecht werden wollen.

Anmerkung: Dieser Beitrag greift auf unseren gemeinsamen Artikel im W&E-Hintergrund Januar 2009 (s. Abb.) zurück. Siehe auch >>> Globale Ausblicke 2009: Finanzkrise und Klimakrise

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