29. Januar 2016

Ungleichheit: Die Oxfam-Kontroverse

Jedes Jahr, wenn sich die „globale Elite“ in Davos zu ihrem Weltwirtschaftsforum zusammenfindet, um Strategien für das kommende Jahr auszutarieren, wartet die internationale Hilfsorganisation Oxfam mit einem Bericht zum Stand der sozialen Ungleichheit in der Welt auf. Der diesjährige Bericht „An Economy for the 1%“ – der dritte in Folge – erregte bislang die vielleicht größte mediale Aufmerksamkeit. Er stellt fest, dass die globale Ungleichheit auf neue Extreme zusteuert und belegt dies mit drastischen Zahlen. Doch wer die weiter wachsende Ungleichheit anprangert, eckt an. Und so fanden die Berechnungen, die der Report vornimmt, sogleich auch in deutschen Medien nicht nur Zuspruch, sondern Kritiker. In einem neuen W&E-Hintergrund, der am Montag erscheint, beleuchten wir die Kontroverse, die Oxfam angestoßen hat, mit einer Zusammenfassung des neuen Oxfam-Reports und einer Replik auf die Kritik >>> hier.

26. Januar 2016

Davos 2016: Kleine Nachlese

Aufgefallen? Die aktualisierte Prognose des World Economic Outlook, mit der der IWF in diesem Jahr nach Davos kam, ist immer noch – obwohl nach unten korrigiert und relativ vorsichtig – optimistischer als die Zahlen der UNO und der Weltbank. Während der IWF das Wachstum der Weltwirtschaft in 2015 auf 3,1% schätzt und für 2016 nur 0,3% mehr, also 3,4% vorhersagt, lauten die entsprechenden Zahlen bei der UNO (im jetzt komplett veröffentlichten WESP-Report) und der Weltbank (in den Global Prospects) unisono 2,4 bzw. 2,9%. Für 2017 prognostiziert der IWF nochmal einen Trippelschritt aufwärts auf 3,6% - es muss ja aufwärts gehen. In den weltwirtschaftlichen Aussichten, die im neuen Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E 01/2016) veröffentlicht sind, haben wir die konservativeren Zahlen der UNO und der Weltbank verwendet, die, obwohl sie von der UNO vorab schon am 10. Dezember veröffentlicht wurden, näher bei der Realität liegen dürften. Zufall oder System?

Neben den üblichen Glaskugel-Exerzitien bot das diesjährige Weltwirtschaftsforum auch sonst wenig Aufsehenerregendes. Einen interessanten Akzent setzte der Chef der japanischen Zentralbank, Haruhiko Kuroda in der abschließenden Diskussion über die Aussichten der Weltwirtschaft in diesem Jahr. Angesichts des starken Drucks auf den Renminbi und des rasanten Dahinschmelzens des chinesischen Devisenpolsters riet er Peking zur vorübergehenden Nutzung von Kapitalverkehrskontrollen – ein Ratschlag, der bei der ebenfalls anwesenden IWF-Direktorin Christine Lagarde keinen Widerspruch hervorrief. Wie sollte er auch, verstößt er doch weder gegen die IWF-Statuten, noch gegen die in letzter Zeit beim Fonds eingezogene Vorsicht gegen einer zu schnellen Öffnung der „capital accounts“. 

Aufschlussreich waren auch die Informationen, die aus dem Umfeld des neuen argentinischen Präsidenten Mauricio Macri in Davos zu vernehmen waren. Mit ihm war seit über zehn Jahren erstmals wieder ein argentinischer Präsident zum Weltwirtschaftsforum gekommen. Dass er und seine Regierung den Geierfonds, die sich an der Schuldenrestrukturierung der Regierung Kirchner nicht beteiligen wollten, entgegen kommen würden, war vermutet worden (>>> Die Linke Lateinamerikas im Abschwung). Jetzt wissen wir, dass das nicht so weit geht, wie die Forderungen dieser Fonds: Während Argentinien jetzt anbietet, den Geiern um den US-Hedgefonds-Manager Paul Singer wenig mehr als den Nennwert der Schuldtitel, nämlich 120 Cents für jeden Dollar zurückzuzahlen, fordern Singer & Co. 350 Cents, in die alle aufgelaufenen Zinsen mit eingerechnet sind. – Übrigens: Der Davos-Neuling Macri spricht, wie ihm die Financial Times attestierte, bereits „fließend Davos“, womit wohl gemeint ist, dass er jene weichgespülte Sprache der Weltverbesserer im Schnee beherrscht, in der Probleme Herausforderungen sind, Umverteilung durch Inklusion bzw. inklusives Wachstum ersetzt wird und weltpolitische Risiken auf ihre Effekte fürs Kerngeschäft hin abgeklopft werden.

22. Januar 2016

Der Davos-Betrieb zwischen Verdrossenheit und neuen Illusionen

Die 2500 Top-Leute aus Wirtschaft, Regierungen und internationalen Organisation sowie ein paar ausgewählte Vertreter zivilgesellschaftlichen Organisationen mögen in Davos, wo das 46. Weltwirtschaftsforum inzwischen voll im Gange ist, ihren üblichen Geschäften nachgehen und der internationalen Öffentlichkeit glauben machen, die „Davos-People“ ringen wieder einmal um Lösungen für die globalen Probleme – die viel beschworenen „Märkte“ beeindruckt dies wenig. Am Mittwoch stürzten die Aktienwerte an den Weltbörsen erneut ab und der Ölpreis sank auf einen neuen Rekord-Tiefstwert. Gestern und heute zogen die Indices wieder etwas an, aber das dürfte kaum etwas daran ändern, dass sich inzwischen alle Börsen im Bärenmodus befinden.


Die Entwicklung an den Börsen taugt allenfalls als gewisser Indikator für die zukünftige Entwicklung der Realwirtschaft. Aber diese bewegt sich schon heute nur mit mäßiger Geschwindigkeit. Der IWF kam in dieser Woche mit seinen neuesten, nach unten korrigierten Prognosen für die Weltwirtschaft nach Davos: Auf geschätzte 3,1% des Wachstums in 2015 sollen 3,4% in 2016 und 3,6% in 2017 folgen, wobei besonders die Verlangsamung in den Schwellenländern allgemein Sorgen bereitet. Doch auch hier ergibt sich ein unterschiedliches Bild. Während Brasilien und Russland in einer Rezession stecken, liegt Indiens Wachstum derzeit bei über 7%. Und China gab gestern für 2015 ein Wachstum von 6,9% bekannt. Letzteres beunruhigt einerseits die „Märkte“, andererseits verweisen chinesische Politiker und Geschäftsleute in Davos darauf, dass dies angesichts des chinesischen Übergangs zu einem neuen Wachstumsmodell ganz im Rahmen des „new normal“ liege und nicht darüber hinwegtäuschen dürfe, dass der Beitrag Chinas zum globalen Wachstum auch mit diesem Wert nach wie vor hoch liegt, nämlich bei einem Drittel.

Viele der Davos People sind inzwischen der Diskussion über Krise und neue Regulierungen überdrüssig und haben im Motto des diesjährigen Forums („Die 4. Industrielle Revolution“) ein neues Lieblingsthema gefunden, in dem sie schwelgen können: die Technologie. Diese neue „Revolution“ mag unter dem Strich 5 Mio. Arbeitsplätze kosten – dabei soll aber immerhin bis 2025 eine „digitale Dividende“ von 100 Billionen Dollar herausspringen, wie eine vom WEF vorlegte Studie nachweisen will. Statt über finanzielle Regulierungen und Basel III spricht man in Davos lieber von neuen Finanztechnologien („fintech“), wobei insbesondere von Blockchain-Technologien, die aus dem Bitcoin-Zusammenhang geboren wurden, wahre Wunder erwartet werden. Kritische Beobachter, wozu in diesem Fall auch die Financial Times gehört, weisen in diesem Zusammenhang jedoch auch auf so mancherlei Illusionen hin: So schreibt die FT-Kolumnistin Gillian Tett, dass das Internet vielen Leute den Eindruck vermittele, sie hätten hier ein neues Instrument der Mitsprache und des Empowerment. In Wirklichkeit hätte die sog. Elite in den meisten Ländern die Macht nach wie vor fest in der Hand.

19. Januar 2016

Reichtum, Armut, Ungleichheit: Schatten auf Davos

Wenn die Reichen und Schönen, die Bosse der großen Konzerne – von Samsung bis McDonalds, von Nestle bis Foxconn, von Amazon bis Walmart – und die Führer der Banken – von Deutsche bis City, von Barcleys bis Wells Fargo – in dieser Woche nach Davos kommen, werden sie nicht sagen können: Wir haben nichts gewusst von der neuen, extremen Ungleichheit, die unsere Gesellschaften zerreißt. Inzwischen besitzen ganze 62 Individuen genauso viel wie 3,6 Milliarden Menschen – die untere Hälfte der Menschheit, wie eine neue Oxfam-Studie (>>> An economy for the 1%) vorrechnet. Während der Reichtum dieser 62 Leute in den letzten fünf Jahren um 44% gestiegen ist, hat die untere Hälfte 41% weniger. Dabei ist der öffentlich stark zitierte Oxfam-Report nur ein Schlaglicht auf das Thema.


Das Weltwirtschaftsforum selbst steht in diesem unter dem Motto „Die 4. Industrielle Revolution“, in der künstliche Intelligenz, Nanotechnologie, Roboterisierung und 3D-Druck in den Vordergrund treten. Dieser neuen technologische Revolution, so ergab eine Studie der Forumsveranstalter (>>> The Future of Jobs), werden in den nächsten Jahren in nur neun Industriesparten 7,1 Mio. Arbeitsplätze zum Opfer fallen, während durch gegenläufige Entwicklungen lediglich 2,1 Mio. Jobs geschaffen werden – es bleibt also eine negative Bilanz von -5 Mio.! Dieser Trends sollte nach dem WEF-Gründer Klaus Schwab wirklich beunruhigend sein, da Regierungen vor neue Herausforderungen gestellt werden und der Wirtschaft die Konsumenten wegbrechen.

Dabei ist das globale Geschäftsmodell der großen Konzerne schon heute auf sozial untragbaren Grundlagen aufgebaut. Das zeigt eine Studie, die der Internationale Gewerkschaftsbund (ITUC) im Vorfeld von Davos veröffentlicht hat (>>> Scandal: Inside the global supply chains of 50 top companies). Danach stehen in den globalen Lieferketten von 50 großen Konzernen nur 6% der Beschäftigten in einem direkten Vertragsverhältnis zu den Unternehmen; der Rest von 94% bildet ein „verstecktes Arbeitskräftereservoir“ in oft prekärer und schlecht bezahlter Beschäftigung, ohne sozialen Schutz und Gewerkschaftsrechte am Arbeitsplatz. Die Unternehmen hätten genug Möglichkeiten, dies zu ändern, folgten sie nur einem 4-Punkte-Plan, den der ITUC in Davos vorstellt. Danach könnte schon die Einführung von Mindestlöhnen und Tarifverträgen, die Verbesserung von Sicherheitsstandards in der gesamten Lieferkette und die Gewährleistung von Rechtestandards, wie sie in den UN-Guidelines für Wirtschaft und Menschenrechte festgelegt sind, viel ändern. Ob sich allerdings die Reichen und Schönen von Davos in derlei Niederungen begeben, darf bezweifelt werden.

14. Januar 2016

Globalisierung: Nachlassende Dynamik, doch einige Lichtblicke

Kein Zweifel: Die Globalisierung verliert derzeit weiter an Dynamik. Nach der globalen Finanzkrise sind die Wachstumsraten überall deutlich zurück gegangen, zuletzt auch in den Schwellenländern, deren Output derzeit so langsam zunimmt, wie seit den Jahren 2008 bzw. 2001 nicht mehr. Aus den einstigen globalen Konjunkturlokomotiven könnte 2016 der dritte große Krisenspot werden – nach der Finanzkrise in den USA und der Eurokrise in Europa (>>>Der großen Krise dritter Akt?).


Ein wichtiger Indikator der nachlassenden Globalisierungsdynamik ist, dass der internationale Handel inzwischen längst nicht mehr so schnell wächst wie in den Hochzeiten der Globalisierung in den 90er und den 00er Jahren. Die Geister streiten sich noch, ob die Verlangsamung des Handels ein Resultat des schwächeren Outputs ist oder umgekehrt dessen Ursache (weil Ausweichstrategien der Wirtschaft ins Ausland wesentlich schwieriger geworden sind) oder beides. Jedenfalls gehört das jahrelang vorherrschende Muster der wachsenden internationalen Verflechtung (bei der das Wachstum des Handels meistens doppelt so hoch oder höher war als das des Outputs) zumindest vorerst der Vergangenheit an.

Auf die weitere Richtung der Globalisierung wirkt sich auch aus, dass mit dem Rückgang der Wachstumsraten in den Schwellen- und Entwicklungsländern auch das Tempo der wirtschaftlichen Konvergenz in der Weltwirtschaft abnimmt. Denn Aufholprozesse der Entwicklungs- gegenüber den Industrieländern dauern länger, wenn die Wirtschaftsleistung ersterer nicht mehr mit durchschnittlich 6%, sondern vielleicht nur noch mit 4%  zulegt, während die wirtschaftliche Dynamik teilweise in die Industriestaaten (vor allem die USA) zurückkehrt. Dies mag im Norden Revanchegelüste hervorrufen, verbunden mit der Hoffnung, den Süden erneut zurückzustoßen. Vor allem die beiden Megaprojekte TTIP und TPPA stehen derzeit für die Abkehr von der multilateralen Handelspolitik zugunsten einer „neuen Geoökonomie“ (Stiglitz). Eines ihrer Hauptmerkmale ist die Exklusion: Gerade die größten Schwellenländer der BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) bleiben davon ausgeschlossen.

Umso wichtiger ist deshalb, dass der Vorsitz der G20-Gruppe der großen Industrie- und Schwellenländer in diesem Jahr bei China liegt (>>> G20 unterchinesischer Präsidentschaft). China G20-Agenda mag wie traditionelle Wachstumspolitik klingen. In Wirklichkeit zielt sie auf eine Umkehr der schleppenden weltwirtschaftlichen Entwicklung im Sinne eines wirklich globalen und inklusiven Wachstumstyps, der allen „Stakeholdern“ angemessene Teilhaberechte gewährt. Dazu gehört auch eine entschlossene Reform der ökonomischen Global-Governance-Strukturen. Schritte auf dem Weg dahin hat es schon gegeben, etwa die Gründung einer BRICS-Entwicklungsbank und einer Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) oder die Einbeziehung des chinesischen Reminbi in den Währungskorb der IWF-Sonderziehungsrechte. Zu guter Letzt hat der US-Kongress kurz vor dem Jahreswechsel noch die (bescheidene) Stimmrechtsreform im IWF passieren lassen, der die Obama-Administration schon vor einem halben Jahrzehnt zugestimmt hatte. – Es wäre nicht das Schlechteste, wenn in diesem Jahr weitere solche Schritte folgten.

4. Januar 2016

Warum die Misere der Weltwirtschaft auch 2016 weiter geht

Gastblog von Joseph E. Stiglitz

Das Jahr 2015 war alles in allem sehr schwierig. Brasilien fiel in eine Rezession. Die chinesische Wirtschaft geriet nach fast vier Jahrzehnten halsbrecherischen Wachstums erstmals ins Stocken. In der Eurozone konnte eine durch Griechenland ausgelöste Kernschmelze verhindert werden, aber die Beinahe-Stagnation geht weiter und trägt dazu bei, dass die letzten zehn Jahre wohl als verlorene Dekade betrachtet werden sollten. In den Vereinigten Staaten sollte 2015 eigentlich das Jahr werden, das die Große Rezession seit 2008 endlich vergessen lässt, aber statt erholt sich die Wirtschaft dort nur mäßig.

Tatsächlich hat Christine Lagarde, die Geschäftsführerin des Internationalen Währungsfonds, den momentanen Zustand der Weltwirtschaft als „neue Mittelmäßigkeit“ bezeichnet. Andere sorgen sich im Rückblick auf den schweren Pessimismus nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die Weltwirtschaft könne in eine Depression oder zumindest in eine längere Stagnation stürzen.

Anfang 2010 warnte ich in meinem Buch Freefall, das die Ereignisse im Vorfeld der Großen Rezession beschreibt, die Welt könnte sich hin zu einer so genannten „großen Misere“ entwickeln. Leider hatte ich recht: Wir haben nicht getan, was nötig gewesen wäre, und wir sind genau dort angekommen, wo ich befürchtet habe...

... der Rest des Kommentars findet sich >>> hier.