Nach Doha: Transformation des multilateralen Handelssystems?
Als Ausdruck der Transformation des Welthandelssystems beschreibt Tobias Reichert in der neuen Ausgabe des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung (>>> W&E 07-08/2008) das jüngste Scheitern der Verhandlungen im Rahmen der Doha-Entwicklungsrunde. Der Zusammenbruch der Genfer Handelsgespräche in der letzten Woche ist in der Tat eher der Regelfall als die Ausnahme im nunmehr siebenjährigen Verlauf der Doha-Runde. Der Autor weist darauf hin, dass die Industrieländer nach jedem Scheitern der Verhandlungen den Entwicklungsländern einige Konzessionen mehr gemacht haben. Und so sei auch diesmal wieder denkbar, dass der Norden nach den US-Wahlen dem Süden einen verbesserten Speziellen Schutzmechanismus (SSM) anbietet, um dessen Gegenleistungen beim Abbau der Industriezölle zu bekommen.
Eine weniger optimistische Entwicklungsperspektive für das Welthandelssystem sieht allerdings der brasilianische Außenminister und Verhandlungsführer Celso Amorin. In einem Interview zu Anfang dieser Woche beschwor er die Gefahr einer „realen Fragmentierung des Welthandels“ mit mehr bilateralen Abkommen, mehr Streitschlichtungsverfahren in der WTO und mehr Protektionismus. Für Brasilien selbst sieht er momentan die „einzige Chance“ darin, über das Streitschlichtungssystem der WTO die Zugeständnisse beim Abbau von Agrarsubventionen einzuklagen, die der Norden, vor allem die USA, auf dem Verhandlungsweg nicht machen wollte.
Brasilien hatte die anstehende Verhängung von Vergeltungsmaßnahmen gegen die USA wegen deren illegaler Baumwollsubventionen im Juni mit Blick auf die Einigungschancen in der Doha-Runde ausgesetzt, jetzt aber deren zügige Umsetzung angekündigt. Betroffen werden davon immerhin US-Dienstleistungen und die Zahlung von Patentgebühren in Höhe von 1 Mrd. Dollar. Für diskriminierend halten die Brasilianer auch die Importzölle Washingtons gegen brasilianisches Ethanol. Auch hier kündigte die Regierung in Brasilia jetzt ein Panelverfahren im Rahmen der WTO an. – Die Nutzung des WTO-Verfahrens durch immer mehr Länder des Südens weist darauf hin, dass das multilaterale Handelssystem auch bei stockenden Liberalisierungsverhandlungen durchaus eine Zukunft hat. Wenn der Norden nicht lernt, die neuen Mächte des Südens als Verhandlungspartner Ernst zu nehmen, bleibt nur der Kadi als Ebene der Auseinandersetzung. Und hier symbolisiert die WTO sogar einen echten Fortschritt gegenüber ihrem Vorläufermodell GATT.
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